Foto: Claudia Hübschmann Die toughe Frontfrau Suse
Von Ulrike Keller
34 Jahre jung und schon Kreis-Vorsitzende der SPD. Susann Rüthrich sieht sich aber gar nicht als eine richtige Politikerin.
Susann Rüthrich knetet die Hände. Die Chefin der Landkreis-SPD hört genau zu, was ein anderer Genosse zu berichten hat. Montagabend, im Parteibüro in der Meißner Altstadt. Unterbezirkssitzung heißt die Veranstaltung, Kinderkonferenz ist das Hauptthema.
Wenn die 34-jährige Frontfrau das Wort hat, legt sie die Handflächen gern auf den Tisch. "Der Antrag ist fertiggeschrieben", sagt sie. "Und liegt zu Hause auf dem Schreibtisch." Gemeinschaftliches Grinsen. Die Genossen kennen den Inhalt. Es geht darum, Geld für eine Art Aktionstag im Willy-Brandt-Haus zu beantragen, um an einem Samstagnachmittag im Herbst mit Kindern und Eltern über die künftige Kinderpolitik der SPD zu diskutieren. Wichtigster Punkt: Die Einführung einer Kindergrundsicherung, orientiert am tatsächlichen Existenzminimum eines Kindes. 356 Euro für jeden jungen Erdenbürger, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Dafür entfallen alle anderen Familienleistungen, vom Kindergeld bis zum Kinderfreibetrag.
Über die knallrote Wendeltreppe soll jeden Moment noch ein Genosse erscheinen. Am Tisch Platz nehmen in dem schwarz-weiß gefliesten Raum mit vier gerahmten SPD-Plakaten an der langen Wand.
Wie spät ist es? Suse, wie die Anwesenden zu Susann Rüthrich sagen, lässt das Handydisplay aufleuchten: Ein Babygesicht strahlt sie an - Töchterchen Nele, gerade zehn Monate alt. Den Vater hat die Sozialdemokratin kennengelernt, als sie Fördergelder im Ministerium beantragte. Er ist nicht in der Partei. Wie es überhaupt niemand in ihrer Familie ist. Die Mutter Laborantin, der Vater Ingenieur, wuchs die gebürtige Meißnerin in Coswig auf. Mit elf, zwölf Jahren wusste sie: "Ich will etwas in der Gesellschaft machen." Bei einer Fete lernte sie Jusos kennen, Junge Sozialdemokraten. Die waren nett. Sie half mit, Hilfstransporte nach Rumänien und Bulgarien zu organisieren. Selbst Juso geworden, ließ eine Erkenntnis nicht auf sich warten: Über das Budget der Jugendorganisation, Geld für Aktionen, entscheidet der Landesvorstand der Partei. Damit war für Rüthrich klar: "Wenn ich mit entscheiden will darüber, was wir machen können, muss ich in die SPD gehen."
Warum die Arbeiterpartei, so ganz ohne Arbeiter-Hintergrund? Die Antwort kommt schnell und druckreif. Weil die Solidarität der Menschen untereinander zählt, der Gedanke der Gleichheit und weil eine Ökonomie hinter der Ökologie stehen muss, eine starke Industriepolitik. Darum auch nicht Grün. Und gleich gar nicht Piraten. "Mit einem ungeklärten Verhältnis zu Menschen mit rechten Einstellungen ist die Partei für mich nicht wählbar. Die sollen erst mal machen", sagt sie.
Nazis sind ihr Thema. Seit sie 18 ist, kämpft sie gegen Rechtsradikalismus. Konkret seitdem ein Teil ihrer Klassenkameraden es schick fand, rechts zu sein. Und seitdem absehbar war, dass die NPD in den Landtag einzieht. Dieses Engagement konnte sie auch während des Politikstudiums an der TU Dresden nicht zurückstellen. Weshalb sie vom Direkt- zum Fernstudium wechselte. "Wie haltet Ihr es aus, untätig zu bleiben und die Politik für die Gesellschaft anderen zu überlassen", hält sie es da mit dem bereits verstorbenen SPD-Politiker Hermann Scheer.
Seit 1998 engagiert sich Rüthrich im sächsischen Netzwerk für Demokratie und Courage. Ein Verein, der bei Projekttagen in Schulen und Ausbildungseinrichtungen Wissen über die rechte Szene vermittelt und den öffentlichen Umgang mit braunem Gedankengut schult. Die Geschäftsführung des Netzwerks ist inzwischen ihr Job, ihr Hauptamt. Der Vorsitz der Kreis-SPD nur Ehrenamt. Daher sieht sie sich selbst auch lediglich als bildungspolitisch Tätige, nicht als Politikerin. Obwohl sie einem Mandat gegenüber nicht abgeneigt wäre, 2009 für den Bundestag kandidierte. Was sie nicht anstrebt, ist eine politische Karriere um jeden Preis. Den Preis der Familie ist sie nicht bereit zu zahlen.
Auf ihren Fingernägeln kehrt das Dunkelbordeaux von Tasche und Riemchenschuhen wieder. An dem schwarz-weißen Sommerkleid leuchtet ein kleiner angesteckter Würfel im klassischen SPD-Rot. Ein Symbol für die Partei mit Ecken und Kanten, erklärt sie. Und ihre Ecken und Kanten? Sie denkt nach. Vielleicht privat ihre Entschlussfreudigkeit und beruflich die Ungeduld. Gerade in Sitzungen. Wenn ihr längst klare Sachverhalte wieder und wieder erörtert werden.
Die Meißner Runde ist übersichtlich geblieben: sechs Genossen aus dem Landkreis. Ein lockeres Miteinander. Susann Rüthrich zieht durch, hakt Punkt für Punkt mit Bleistift ab. Schüsse? Presslufthammer? Undefinierbare Geräusche brechen aus einem Handy heraus. Die Männerhände versuchen vergebens, die Störung zu bändigen. Kommentar der Kreischefin: "Das Problem sitzt immer vor der Technik." Die Lacher hat sie auf ihrer Seite. Der Kinder-Nachmittag im Herbst zur künftigen sozialdemokratischen Kinderpolitik ist vorgedacht. Wer welche möglichen Sponsoren anfragt, ist abgesprochen, Recherchen infrage kommender Örtlichkeiten sind verteilt. Doch noch ist das Geld in Berlin nicht genehmigt.
"Ein Foto von Dir hängst Du an, ja!?", witzelt eine Genossin. Susann Rüthrich lächelt unschlüssig, schaut auf die Tagesordnung und geht zum nächsten Punkt über: In zwei Jahren sind Landtagswahlen.
Quelle: Sächsische Zeitung vom 16./17. Juni 2012